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Prolog

Schon früh am Morgen herrschten in Barcelona angenehme Temperaturen. Meine Freundin Verena und ich waren für ein langes Wochenende in die katalanische Metropole geflogen. 2012 war es bei Menschen unseres Alters, wir waren Mitte zwanzig, noch angesagt, mit dem Billigflieger durch Europa zu fliegen. Der Begriff Flugscham sollte es erst acht Jahre später in den Duden schaffen. Wir hatten das Handgepäck bis auf das letzte Gramm ausgenutzt, um keine Zusatzgebühren zu zahlen und unsere Unterkunft war eine günstige Airbnb-Wohnung.

Trotz aller Optimierung des Handgepäcks mussten meine Laufschuhe unbedingt mit. Ich war seit Monaten im Training und wollte im Rhythmus bleiben. Die Schuhe waren erst wenige Wochen alt und mein ganzer Stolz. Direkt beim ersten Einsatz auf meiner rund acht Kilometer langen Stammstrecke einmal um die Außenalster, ich lebte seit sechs Jahren in Hamburg, hatte ich meine Bestzeit um fast zwei Minuten verbessern können. Stolz teilte ich damals auf Facebook ein Foto meiner neuen Schuhe. Da die Schuhe komplett schwarz waren, hatte ich geschrieben: »25 Sekunden pro Kilometer schneller. Der Panther ist zurück!!!«

Ich war schon immer sportbegeistert, aber ich selbst war nur begrenzt talentiert. Beim Fußball fand ich mich meist auf der Ersatzbank wieder. Ich erinnere mich noch an den Saisonbeginn in der D-Jugend, wir waren zwölf Jahre alt. Im ersten Spiel stand ich überraschenderweise in der Startelf und nicht Tim, mein direkter Konkurrent für die zweite Sturmposition. In diesem Spiel traf ich zwei Mal und in meiner Erinnerung sind das zwei wunderschöne Tore, bei denen ich mir selbst verwundert die Augen gerieben hatte.

Es war wohl das beste Spiel meiner Fußballerkarriere, ich träumte von einer bärenstarken Saison, meinem Durchbruch. Tatsächlich traf ich kein weiteres Mal mehr und fand mich wenige Monate später in der zweiten Mannschaft wieder. Immerhin wurde ich dort dann auf Anhieb zum Kapitän ernannt, war also sowas wie der Beste der Schlechten.

Am Ende wurde ich lieber Schiedsrichter, was bei uns in der Familie lag, mein Vater und mein Opa waren auch schon Schiedsrichter. Mit zwölf pfiff ich mein erstes Spiel, mit sechzehn zum ersten Mal im Herrenbereich. Am Ende schaffte ich es bis in die Landesliga, in der ich als Spieler im Leben nicht gelandet wäre. Aber Rock ‘n Roll war die Schiedsrichterei natürlich nicht und ich glaube, es hat selten ein Mädchen den Schiedsrichter eines Spiels bewundert.

Auch in anderen Sportarten konnte ich wenig glänzen. Bei Bundesjugendspielen gab es immer nur die Teilnehmerurkunde und eine Blechmedaille für mich, also nichts, was sich ein sportbegeisterter Junge in sein Zimmer hing.

In der neunten Klasse gab es dann aber statt Bundesjugendspielen einen Spendenlauf. Das Prinzip war, dass wir Schüler uns im Vorfeld einen Sponsor suchten, meist die eigenen Eltern, mit dem wir einen Spendenbeitrag pro gelaufenem Kilometer aushandelten. Dann erliefen wir bei der Veranstaltung Geld für einen wohltätigen Zweck. Ich wollte es allen zeigen, auch den Mädels in der Klasse. Ich lief und lief und lief, während meine Mitschüler gelangweilt mit Discman durch den Wald trotteten. Ohne trainiert zu haben, kam ich auf 21 Kilometer. Da ich aber keine richtigen Laufschuhe hatte, sondern nur die legendären Adidas Samba, lief ich mir eine fette Blase. Trotzdem war ich mächtig stolz auf mein Ergebnis und überraschte meine Eltern mit einer unerwartet hohen Spendensumme.

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich in diesem Jahr eine Eins in Sport auf dem Zeugnis hatte, denn unser Sportlehrer war passionierter Läufer und schwer beeindruckt von meiner Leistung als Klassenbester. So entdeckte ich das Laufen für mich. Meine langen Beine, mein niedriger Puls, kombiniert mit meinem verbissenen Ehrgeiz waren die ideale Grundlage, auch wenn ich ein paar Kilogramm zu viel mit mir rumschleppte.

Später als Schiedsrichter musste ich einmal im Jahr den sogenannten Cooper-Test absolvieren, um weiterhin in höheren Klassen pfeifen zu dürfen. Wir liefen zwölf Minuten auf der Laufbahn und mussten mindestens 2700 Meter schaffen. Doch das war nur das geforderte Minimum. Da diese Leistung von den Oberen im Verband genau begutachtet wurde, ging es nicht nur darum zu bestehen, sondern hervorzustechen. Ich begann für diese Läufe zu trainieren. Die Distanz war wie geschaffen für mich und ich brachte es auf bis zu 3400 Meter. Kaum jemand schaffte damals mehr. Mit zwanzig war ich in einem Laufwahn, wie ihn nur Läufer kennen.

Nachdem es während meines Studiums etwas ruhiger ums Laufen geworden war, wollte ich, der »Panther«, jetzt nochmal angreifen. Ich plante im Sommer und Herbst an einigen Wettkämpfen teilzunehmen und schielte insgeheim noch auf eine Marathon-Teilnahme. Mit den neuen Schuhen war ich hoch motiviert und glaubte an meine Chance.

So machte ich mich in Barcelona am zweiten Morgen unseres Urlaubs früh zum Training auf. Zunächst fuhr ich mit der Straßenbahn in Richtung »Las Ramblas«, der berühmtesten Straße Barcelonas. Die Flaniermeile hatten wir am Vorabend besucht und daher kannte ich mich grob aus.

Ich startete meinen Lauf in Richtung Strand und wollte dann immer weiter am Mittelmeer entlanglaufen. Das Wetter war prächtig, die Sonne schien, ohne dass es zu heiß war. Es waren ideale Laufbedingungen, schöner konnte ein Tag nicht beginnen! Doch schon nach zehn Minuten musste ich das erste Mal stoppen. Meine Leiste zwickte. Was war denn hier los? »Das lässt sich bestimmt rauslaufen«, dachte ich mir und setzte meinen Lauf fort.

Aber es ging nicht. Ich humpelte immer mehr und musste erneut stehenbleiben. Irgendwann brach ich ab, suchte die nächste Straßenbahnstation und fuhr enttäuscht zurück zu unserer Unterkunft. In den nächsten Tagen zwickte es immer wieder, sodass ich widerwillig eine Trainingspause einlegen musste. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Läufer, als am Laufen gehindert zu werden. Ich hatte einen festen Trainingsplan, der gestört wurde und ich war ziemlich genervt. Was ich damals nicht ahnen konnte: Ich sollte nie wieder richtig joggen!